Schriften zum Thema Schembartlauf

▶ Schembartlauf: Marketing im Spätmittelalter
      eine Einordnung ins Faschingsgeschehen Europas

▶ Über die Anfänge des Nürnberger Schembartlaufs
      Vortrag Akademie Friesach 2007

Horst Kaufmann
Über die Anfänge des Nürnberger Schembartlaufs
Vortrag bei der 3. Akademie Friesach, Uni Klagenfurt, 9. – 11.11.2007
„Das Königreich der Narren. Fasching im Mittelalter“

Download PDF

Der Nürnberger Schembartlauf

    

Nürnberg ist in der glücklichen Lage, seine Schembart-Geschichte in rund 80 heute noch erhaltenen Schembart-Büchern handschriftlich dokumentiert zu finden. Die Schembartläufe wurden in Nürnberg über 90 Jahre hinweg von 1449 bis 1539 aufgeführt. Dokumentiert sind genau 65 Läufe. So waren über einen begrenzten Zeitraum hinweg die Schembartläufe „das Ereignis“ in Nürnberg, ein Mordsspektakel in seiner Zeit: mit Spottgesängen, Feuerröhrlein und Sturm und Anzünden der „Heel“. 

Dieser Vortrag gibt eine kurze Vorstellung des Laufes und nennt zu Beginn die Anfänge, wie sie uns der Sage nach überliefert sind. Dann wird er die historischen Quellen betrachten, bewerten und versuchen, die tatsächlichen Anfänge zu erörtern. Wir werden sehen, dass die Quellenlage, trotz der schönen Schembartbücher, ausgesprochen dünn ist. Die offenen Fragen zu den Anfängen sind und bleiben vielfältig. 

Schließlich beschreibt der Autor eine – zumindest gewagt klingende – These zu den Anfängen des Nürnberger Schembartlaufs, also wie die Entstehung aus logischer Sicht durchaus gewesen sein könnte. Weitere Forschungen zum Schembartlauf werden zeigen müssen, ob diese These zu halten ist. 

Am Schluss steht eine Betrachtung der kulturellen, politischen und sozialen Bedeutung des Schembart-Laufs im patrizisch regierten Nürnberg.

Der Autor stützt sich dabei überwiegend auf Hans-Ulrich Rollers hervorragende Übersicht von 1965 zum Schembartlauf.

Eine kurze Beschreibung des Laufs

    

In einem Brief von 1507 schreibt Lorenz Behaim an seinen Freund Pirkheimer in Nürnberg: „Ihr sollt euch schön ausgetobt haben in den Fasten. Hätte ich das gewusst, wäre ich auch nach Nürnberg gekommen, um mit euch zu toben“. Weiter wissen wir aus einer Augsburger Quelle: „Doch sobald das Glöcklein bei St. Sebald erklang und der edle Rath ausrufen ließ die Eröffnung der Fastnachtsfreude, also bald sprangen aus den Häusern heraus die Mummen gar fröhlich und froh …“ … dann zogen sie durch die Gassen Nürnbergs.

Die Läufer hatten sich schon lange vorher an der „Fleischbrucken“, eine der Nürnberger Brücken über die Pegnitz gesammelt. Sie tranken sich sicherlich in einer Wirtschaft noch Mut an – um dann auch laut genug die sicher oft obszönen Lieder schmettern zu können.

In einem Nürnberg, in dem eine strenge Kleiderordnung alles beherrschte, in der das ganze Jahr über weder Vermummung noch Waffen geduldet wurden, da konnten die Einwohner sich nur im Fasching austoben. Die Handwerker und „Ehrbaren“ tobten zusammen, gut geschützt, weil unkenntlich durch ihre Gesichtsmasken.

Die Schembartläufer waren wohl in dieser Stadt die einzigen, auch im Fasching, die das Recht hatten, Gesichts-Masken zu tragen. Sie hatten bei all dem schöne Masken, glatte Larven, wie die Schembart-bücher zeigen. Vermutlich  stammt auch der Name „Schembart“ – oder „schempert“ – oder „Schönbart“ mit allen seinen Abwandlungen, davon ab, dass in diesem Namen „Scheme“ gleich Maske, Larve und „Bart“ gemischt werden. Auch lässt die Namenswahl erahnen, wie wichtig das Element der Maske und der Vermummung für unsere Vorfahren war. Schließlich haben sie das ganze Spektakel danach benannt.

Der Schembart-Umzug begann mit dem Ausritt des „Nusswerfers“. Die Zuschauer stürzten sich auf die Nüsse wie Kinder auf die Bonbons heutzutage. Die Schembartläufer mussten manchmal auf die Metzger und ihren Zämertanz warten – oder umgekehrt, heißt es. Die Läufer waren einheitlich gekleidet, typisch in rot-weiß geteilte,  enge Kostüme. „Bewaffnet“ waren sie mit einer stumpfen Lanze, um sich beim zuschauenden Volk Platz zu verschaffen. 

Das Nürnberger Volk war vermutlich vollzählig am Straßenrand versammelt. Die Schembart-Gruppenführer trugen einen Buschen aus grünem Blattwerk mit sich. Darin verborgen hatten sie ein “Feuerröhrlein, aus dem sie blinde Schüsse abfeuerten“, wie es heißt. Der Tanz zum Klang von Sackpfeifen, Schalmeien und Trommeln war mehr ein Lauf, als ein Tanz. Die Teilnehmer formierten hüpfend einfache Figuren wie „Mühle“ und „Schnecke“ – doch genau genommen ist darüber nichts konkret  überliefert.

Daneben trabten Reiter von Pferdeattrappen. Außerdem dabei war alle Jahre auch – zum Erstaunen des Publikums – eine ganz besonders maskierte Einzelgestalt: zum Beispiel 1522 der “Ablass-Krämer“. Ein Mann, der ein Kleid aus lauter Ablassbriefen mit rot-gelben Siegeln trug, mit einen großen Ablass-Brief in der Hand. Da haben die Schembartler offensichtlich ein heißes Eisen angefasst. Doch eingeschritten ist die Obrigkeit auch in diesem Jahr nicht.

Immerhin war der Ablasskrämer nicht so furchterregend für das Publikum, wie in den Jahren zuvor der „wilde Mann“ oder „eins alten weibs gestalt, trag mit ein butten auf den rück. Wann er unten zug, fuhr ein magdt auf und nieder“. In anderen Jahre trugen die Sondergestalten auch Tier- und Teufelsmasken. 

In späterer Zeit, genau ab 1475, führten die Schembartläufer dann eine Hölle, genannt „Heel“, einen Vorläufer der heutigen Karnevalswagen, mit sich. Anfangs gezogen auf Schlittenkufen war es zum Beispiel 1478 ein Drache, 1493 ein Schloss mit 4 Türmen, 1503 ein Elefant, 1507 ein Basilisk. Beim letzten Lauf 1539 war ein großes Schiff mit Personen darauf, die den führenden protestantischen Nürnberger Prediger Dr. Osiander ziemlich rüde „aufs Korn nahmen“. Die „heel“, wie es in den Quellen heißt, wurde am Ende des Umzugs am Nürnberger Hauptmarkt üblicherweise wild gestürmt und lichterloh vor dem Rathaus verbrannt.

Nach der Verspottung Osianders 1539 wurde der Schembartlauf verboten. Am Lauf hatte die Rekordzahl von 150 Schembartläufer teilgenommen. Zu allem Überfluss hatten Schembartläufer Osiander auch noch vor seinem Haus bedrängt; es kam zu Tumulten. Osiander machte seinen Einfluss beim Rat geltend und so wurden die Schembart-Hauptleute in den Turm geworfen und der Schembart-Lauf vom Nürnberger Rat „für immer und ewig“ verboten.

Die sagenhaften Anfänge des Schembartlaufs

    

Die Anfänge des Schembartlaufs werden in der Überlieferung und in allen Schembart-Büchern gleichlautend beschrieben, müssen aber wissenschaftlich ganz klar als „sagenhaft“ betrachtet werden.

Der Sage nach erhielt die Nürnberger Metzgerzunft nach dem gescheiterten Handwerkeraufstand, also schon 100 Jahre früher, für ihre politische Zurückhaltung das Privileg, zu Fasnacht einen Tanz aufführen, sich verkleiden und vermummen zu dürfen. Daraus entstand im Rahmen der Handwerkertradition zunächst der so genannte Zämertanz, an dem nur Mitglieder aus der Metzgerzunft teilnehmen durften. 

Aus einer Art „Schutztruppe“ für den Zämertanz soll dann der so genannte „Schembart“ entstanden sein. Die Schembartläufer sollten den Metzgertanz flankieren und für Ordnung bei den Zuschauern sorgen. Deshalb die stumpfen Lanzen, mit denen sie zwar das Publikum zurückdrängen, aber nicht verletzen konnten.

„Ehrbare“ aus Nürnberg, gemeint ist die patrizische Jugend, erkauften sich das Recht zur Teilnahme am Schembartlauf bei den Metzgern. Über die kommenden Jahre hinweg verselbständigte sich der Schembartlauf gegenüber dem Zämertanz immer mehr. Das Recht zur Teilnahme wurde weiter von den Metzgern gegen bares Geld verkauft: an die Reichen der Stadt.

Und so nutzten die Sprösslinge der Patrizier den Fastnachtslauf mehr und mehr als Möglichkeit zur phantasievollen Selbstdarstellung. Die Aufführungen entwickelten sich zu einem großen gesellschaftlichen Ereignis in Nürnberg.  Der Lauf wurde 90 Jahre lang bei jeder Aufführung prächtiger und größer, bis er 1539 sein dramatisches Ende fand.

Quellen zum Schembartlauf

    

Als Quellen finden wir (1) die Schembart-Handschriften (2) den „scheinpart-spruch“ von Hans Sachs, dem Nürnberger Poeten, Meistersinger und Verfasser einer Unzahl von Fastnachtsspielen und (3) die Protokolle des Nürnberger Rats.

(1)
Die Schembart-Handschriften sind sehr umfangreich und gut erhalten. Es gibt etwa 80 Bücher, in verschiedenen Nürnberger  Bibliotheken 35, in Deutschland verteilt weitere etwa 30, in Wien 5, in Luzern zwei und in Paris, London und Brüssel je ein Exemplar. Ein Sammler und eine Library in New York besitzen noch weitere fünf Schembart-Handschriften. 

Diese Handschriften zählen übereinstimmend 65 Läufe auf: ganz konkret der erste im Jahr 1449, der letzte in 1539. Sie listen Jahr für Jahr auf, wann „ein schempart auslieff“, wer die Hauptleute waren, welcher Preis für die Teilnahme gezahlt werden musste und wie groß die Zahl der Läufer im jeweiligen Jahr war. Außerdem wird jeweils die besonders maskierte Gestalt beschrieben, und später, als die Höllen dazu kamen, wurden auch diese detailliert erläutert.

Die Bücher enttäuschen allerdings durch die meist sehr sachlich kurzen und nüchternen Texte, so dass man die tatsächlichen (Bewegungs-) Abläufe beim Schembartlauf kaum darin finden kann. Sie geben weder Auskunft zum Tanz noch zur Wegstrecke. Ganz anders die üppigen Bilddarstellungen: So zeigen die Bücher farbige Bilder von den Läufern, von den jeweils aktuellen Kostümen und von den im jeweiligen Jahr mitgeführten „Höllen“.

Diese Handschriften sind weder signiert noch datiert. Einige frühe Bücher schätzt man durchaus in die Zeit zwischen 1524 und 1550, also ans Ende des Schembarts. Doch die zeitliche Zuordnung gelingt kaum. Beispielsweise der Text mit der Signatur „Amb. 425“ aus der Nürnberger Staatsbibliothek: Hermann Fischer schätzt um 1600, Fritz Brüggemann schätzt nach 1539. Da liegt leider mehr als eine ganze Generation dazwischen.

Diese Bücher verdanken wir dem verstärkten Interesse im 16. Jahrhundert, Politik, Kultur und das Geschehen im eigenen  Lebensraum zu dokumentieren. So stehen die Schembartbücher neben Historiken und Chroniken, Turnier-, Wappen- und Geschlechterbüchern und sie berichten selbst oft außer über die Schembartläufe auch von Turnieren und anderen Ereignissen. Wir müssen in diesen Büchern Auftragswerke sehen, die es mit den historischen Tatsachen nicht so genau nehmen.
Die meisten Schembartbücher wurden erst lange nach dem Ende der Schembartzeit geschrieben, nämlich bis ins 18. Jahrhundert hinein und stimmen inhaltlich so auffällig überein, dass man annehmen muss, dass sie voneinander abgeschrieben wurden. Es gibt durchaus Grund zur Annahme, dass ein „Ur-Schembartbuch“ existierte, bzw. unentdeckt existiert, und dass dieses richtungweisend für nachfolgende Abschriften war. Form und Inhalt der vielen Bücher legen das nahe.

Die Forschung ist sich einig, dass die geschlossene Darstellung in diesen Büchern erst nach dem Verbot des Laufs, also typisch nach 1539, vorgenommen wurde. Bei einzelnen Büchern, wie möglicherweise bei einem Buch aus der Sammlung der von Löffelholz in Nürnberg, könnte es sein, dass es schon vor 1539, aber nach 1524, entstanden ist, weil es die Daten zum letzten Lauf von einer zweiter Handschrift hinzugefügt enthält. Wenn dies stimmt, wäre das von großer Bedeutung.

(2)
Der „scheinpart-spruch“ von Hans Sachs ist tatsächlich die einzige sicher zeitgenössische Quelle. Sie berührt zumindest die Zeit vom Ende der Läufe konkret: 1539. Der „Spruch“ beschreibt als Einziges Details über den Ablauf der Veranstaltung. Hans Sachs berichtet, dass es sich dabei offensichtlich nicht um einen reinen Umzug in normaler Gangart gehandelt hat, sondern dass Teile des Weges in einem hüpfenden Tanzschritt zurückgelegt wurden. 

Beim „Frauenhaus“, heißt es dort, hielt der Schembartumzug inne und führte einen Tanz auf, wohl in der Art des „springenden Tanzes“, eines rhythmischen Hüpfens also, das die Schellen zum Klingen brachte. Damit gibt uns der „scheinpart-spruch“ Sachaussagen, die wir sicher als glaubwürdig übernehmen dürfen. Anders ist dies bei Sachs’s Beschreibung der Anfänge des Schembarts: Hans Sachs verknüpft nämlich den Schembartlauf direkt und unmittelbar mit dem Aufstand von 1348/49. Bei ihm gibt es nicht einmal den Handwerkertanz.

Das, so sagen die Forscher, dürfen wir nicht für bare Münze nehmen. Denn Sachs tritt nicht als Historiker auf. Die literarische Form und die moralisierenden Absichten des protestantischen Hans Sachs beeinträchtigen die Sachlichkeit vieler seiner Aussagen, heißt es als Begründung. Also hilft uns Hans Sachs, obwohl zeitgenössisch, leider bei der Frage nach dem Anfängen des Läufe nicht weiter.

(3)
Die Nürnberger Ratsprotokolle geben, so weit erschlossen, zum Schembartlauf nur sehr knappe und nebensächliche Auskunft. Bewerten wir diese Quellenlage, dann müssen wir feststellen, dass die Anfänge des Schembartlaufs wohl zu unbedeutend waren, als dass sie dokumentiert worden wären. 

Die Schembartbücher nennen übereinstimmend jeweils im Vorwort, meist in Reimform, einmal in Prosa, in etwa immer die gleiche, nämlich die bekannte, sagenhafte Variante vom Handwerkeraufstand, vom Privileg und Schembart als Schutztruppe für den Metzgertanz. Auch das in Nürnberg übliche Handwerkerbrauchtum, z.B. der „Schwerttanz“ der Messerschmiede, der Reiftanz der Tuchknappen und eine ganze Reihe von weiteren Tanztraditionen, werden erwähnt. Auch spielten Narren schon hier eine Rolle. Auf den Zeichnungen der Nürnberger Schwert- und Reiftänze z.B. sind auch Narren abgebildet.

Sicher wäre eine neue, klare Systematisierung und Untersuchung der Bücher untereinander interessant. Das würde weit mehr an  Aufwand erfordern, als bisher angestellt wurde und diese Aufgabe müsste alle bekannten Schembartbücher ohne Ausnahme umfassen (was bei der weltweiten Streuung der Aufbewahrungsorte kaum vorstellbar ist). Doch auch dies würde die Frage nach den Anfängen kaum aufhellen können.

Die Schembartbücher sagen uns definitiv nichts direkt Verwertbares zu den Anfängen des Schembartlaufs. Genauso wenig wie Hans Sachs. 

Die Ratsprotokolle verbergen vermutlich nach Einschätzung von Wissenschaftlern noch einige sehr nüchtern-sachliche und deshalb wertvolle Informationen, wohl auch zum Zeitraum vor 1449. Doch eine umfassende Auswertung der Protokolle stellt sich als äußerst aufwändig dar und steht noch aus.

 

Über die tatsächlichen Anfänge des Schembartlaufs 

    

Wahrscheinlich sind die Schembartläufer tatsächlich aus einer Art Ordnungstruppe für die Aufführungen des Zämertanzes hervorgegangen. Als gesichert gilt auch, dass die Metzger Geld für die Teilnahme von den Schembartleuten erhalten haben. Das  passt auch zusammen mit der bekannten Not der Metzger, die diese durch mangelnde Geschäfte in der nachfolgenden Fastenzeit zu erwarten hatten. Sicherlich war auch das Recht, bei einer Vermummung mitmachen zu dürfen, seinerzeit ein ziemlich attraktives Privileg. Der Eindruck aus einzelnen Quellen, dass der Schembart schon sofort nach dem Handwerkeraufstand existierte, wird heute nirgendwo mehr unterstützt.

Darüber hinaus bleiben nur die Aspekte der Gepflogenheiten und des Umfelds jener Zeit, die einigermaßen verlässlich als Basis für das Entstehen der Schembartläufe gesehen werden können. Die weit verbreiteten und üblichen Handwerkertraditionen, insbesondere der Zämertanz der Metzger, waren unbestritten ein wesentlicher Faktor. Dazu kommen die ebenfalls üblichen und weit verbreiteten Sitten in der Faschingszeit: nämlich die Ordnung der Welt für einige Tage „auf den Kopf“ zu stellen und die so genannten „karnevalesken“ Elemente zu pflegen, nämlich obszöne Lieder zu singen, zu saufen bis zum Umfallen und zu Fressen bis zum Platzen. Außerdem hier den Freiraum zu finden, Dinge an- und auszusprechen, die das restliche Jahr im städtischen Leben absolut tabu waren. Die Kombination der glaubwürdig erlaubten Vermummung im Zämertanz der Metzger mit diesen karnevalesken Elementen zur Faschingszeit hat in irgend einem bestimmten, derzeit aber nicht konkret bestimmbaren Prozess zur Entwicklung des Schembartlaufs geführt.

Auffällig dabei ist die begrenzte „Lebenszeit“ des Schembartlaufs von 90 Jahren. Gesichert und besonders bemerkenswert ist auch, dass er nicht vom Volk getragen wurde und wohl nicht aus einer breiten Basis der Bevölkerung entstanden und betrieben worden ist. Das Volk war immer nur Zuschauer. Im Konkreten sind wir in Bezug auf die Anfänge des Schembartlaufs also auf Vermutungen und letztlich auf Thesen angewiesen, von denen zunächst auch mehrere nebeneinander stehen dürfen und die durch (hoffentlich) noch folgende Forschungen entweder bestätigt oder widerlegt werden müssen.

Eine neue These zur Entstehung des Schembartlaufs

    

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte möchte der Autor nun eine These entwickeln, die ein unbewiesenes, aber recht wahrscheinliches Bild von den Anfängen des Schembartlaufs in Nürnberg wiedergibt. Sie ist durchaus glaubwürdig und vor allem in allen Punkten logisch.

Demnach steht im Zentrum der Entstehung das höchst attraktive Privileg des Zämertanzes, sich zu vermummen. Das war in Nürnberg von Bedeutung. Denn die Stadt wurde vom Rat streng regiert. Das städtische Umfeld war schon allein räumlich sehr gut zu überschauen und alles, vor allem auch die Kleidungsordnung, konnte streng kontrolliert werden. Betroffen davon waren alle Stände, insbesondere auch die Patrizier.

Damit wurde das Privileg, das den Metzgern zustand, ein höchst wertvolles Gut. Mit diesem Privileg konnte man ungestraft ausbrechen – aus den örtlichen Vorschriften – für kurze Zeit – aber noch viel mehr und weiter als die Fastnachtszeit das normalerweise erlaubt hätte. Pikanterweise besaß also die in Nürnberg untergeordnete soziale Schicht der Handwerker etwas, was der übergeordneten Schicht, den „Ehrbaren“ in der Stadt, nicht zustand.

Das könnte sehr leicht die Triebfeder für Verhandlungen gewesen sein: Die Metzger besaßen etwas, was andere in der Stadt gerne gehabt hätten. Die Patrizier waren geld- und einflussreich. Sie waren besonders daran interessiert, selbst dieses Privileg zu erlangen. So kam es zu Verhandlungen zwischen den Patriziern und den Metzgern. Allerdings war das gewünschte Privileg an die Handwerks-Zunft und Regeln der Metzger gebunden, und die Patrizier der Stadt hatten, rein formal schon, auch deswegen keinen Zugang. Hier war also Fantasie gefragt und alle Beteiligten begannen zu überlegt, wie sie ein Konstrukt gestalten müssten, das die Patrizier an Tanz und Vermummung beteiligen könnte,

(a) im Rahmen des verbrieften Privilegs,
(b) unter Einhaltung aller Bestimmungen dazu – und
(c) ohne das Privileg an sich zu gefährden.

Außerdem natürlich immer unter dem Aspekt, wie jeder seine Vorteile davon hätte. 

Die Einführung, vielleicht auch die „Erfindung“, einer Schutztruppe für den Zämertanz war dann wohl die Lösung. Die Grenzen zwischen Zämertanz / Schutztruppe / Schembartlauf gestaltete man – ich denke, sogar sehr absichtlich – besonders schwammig. Tanz und Schembart waren zwar organisatorisch grundunterschiedliche Dinge, sollten in ihrer Erscheinung aber auf keinen Fall weit auseinander liegen.
Diese enge Kopplung könnte ein wesentliches Merkmal des Konstrukts gewesen sein und würde überdies erklären, warum die historischen Quellen in ihrer Beschreibung in diesem Punkt so schwache Aussagen machen.

Schließlich konnte mit Hilfe des Kunstgriffs, Zämertanz und Schembartlauf nicht oder nur unwesentlich voneinander zu trennen, das Privileg, das sonst so extrem gehütet wurde, wandern: Es gelang, dass das, was vorher nur den Mitgliedern der Metzgerzunft erlaubt war, nun auch für andere Personenkreise, ja sogar für andere Schichten, zugänglich wurde.

So gesehen war der Schembartlauf ein im organisatorischen Kern völlig neues und künstlich konstruiertes Gebilde, das den  Patriziern den Zugang zum Privileg eröffnete. Und zwar ohne Traditionen zu stören, ohne Sozialgrenzen zu verletzen und ohne gegen Zunftrechte zu verstoßen. Unsere Nürnberger Vorfahren hatten sich also etwas sehr raffiniertes ausgedacht – und soweit ich die Geschichte Nürnbergs im Allgemeinen kenne: zuzutrauen wäre es ihnen durchaus.

Der Schembartlauf in wirtschaftlicher, rechtlicher und sozialer Hinsicht

    

Bei all dem hatte der Schembartlauf vermutlich eine hohe wirtschaftliche Bedeutung für die Händler Nürnbergs. Die Patrizier betrieben sehr erfolgreich Handel mit allen damals bedeutenden Städten in Europa. Da spielte, wie heute noch, auch das Image der Stadt eine große Rolle. Mit dem Schembartlauf konnte Nürnberg über seine Grenzen hinaus eine besondere Attraktion bieten. Von so etwas wurde in anderen Städten erzählt: belegen mag dies auch das von mir eingangs benutzte Zitat aus Augsburg: „Hätte ich das gewusst, wäre ich auch nach Nürnberg gekommen, um mit euch zu toben“.

Es gab damals eine Art „Schüleraustausch“ zwischen den Städten. Im weiter zitierten Text hat der Augsburger Handlungsgehilfe Ulrich Wirschung seine Eindrücke vom Schembartlauf nach zu Hause, nach Augsburg, berichtet. Die Veranstaltung war „showgerecht“ – denken wir daran, dass die Masken nicht hässlich, sondern sehr schön gestaltet waren. Die Veranstaltung gewann überhaupt, ich zitiere Roller, immer mehr Ästhetik. Modische Elemente fanden Einzug.

Mit der Einführung der Hölle gewannen die Akteure ein weiteres eigenes – man möchte sagen – „showtaugliches“ Aktionszentrum. Sicherlich war das alles den Nürnberger Händlern durchaus damals schon wichtig. Und so wurde der Schembartlauf eine Art „städtische Image-Kampagne mit den Stilmitteln des Mittelalters“.

Rechtlich betrachtet wären die Akteure, akzeptiert man obige These des Entstehens, mit Recht und Ordnung des Nürnberg um 1400 sehr kreativ umgegangen. Sie haben Vorgaben respektiert und gleichzeitig allen Gestaltungsspielraum genutzt. Sie haben soziale Grenzen manipuliert, ohne sie zu verletzen. Sie haben eine soziale Allianz geschmiedet, die den jungen Patriziern schlichtweg Spaß gemacht hat, dem Handwerk insgesamt Ansehen, Einfluss und den Metzgern auch ein bisschen Geld eingebracht hat. Das soziale Gefüge war korrekt, alles durfte seine Ordnung behalten – und doch ist etwas Neues entstanden.

Das ganze Konstrukt passt auch in ein Nürnberg, das zwar patrizisch streng regiert wurde, aber gegenüber dem Handwerk recht aufgeschlossen war, weil die wirtschaftliche Vormachtstellung der Stadt im damaligen Europa nicht nur durch den Handel, sondern sehr stark auch vom damaligen Technik-Know-How der Handwerker getragen war.

Der Nürnberger Rat hat wohl mitgespielt, so weit er seine eigene Macht nicht bedroht sah. Immerhin gehörten die neu dazu genommenen Akteure am Schembartlauf zu den eigenen Familien.

Die Frechheiten der Schembartläufer richteten sich überdies auch nie gegen das weltliche Regime der Stadt, sondern ganz zielsicher gegen die Kirche, insbesondere das strenge Auftreten der Reformation in den späteren Jahren.

Bei all dem hat der Nürnberger Rat lange zugeschaut, ohne einzugreifen. Zum Teil war es dem Rat vermutlich recht, wenn die Kirche durch diese Veranstaltung etwas geschwächt wurde. Sollte sie doch nicht zu viel Einfluss auf die Regierung der Stadt gewinnen. Andererseits war der Rat nicht frei von politischen Abhängigkeiten, speziell auch gegenüber der Kirche, so dass er schließlich 1539 doch einschreiten musste. Die Abwägung zwischen Vor- und Nachteilen für Rat und die Stadt hatte sich wohl langsam verschoben.

Außerdem war das Schembartspektakel mit seiner mittelalterlichen Erscheinungsform nicht mehr zeitgemäß. Es passte weder in die Reformation, noch gesellschaftlich gesehen in die beginnende neue Zeit der Renaissance. Es war schlichtweg unmodern geworden.

Fazit: Schembartläufe – etwas Besonderes ?

    

An dieser Stelle fragt man sich natürlich wieder, ob nun der Schembartlauf in Nürnberg völlig in das überregionale Brauchtum seiner Zeit einzuordnen ist, oder eine Sonderstellung genießt.

Akzeptiert man obige These des Entstehens, fällt diese Erörterung ganz leicht:

1. Die Ursprünge liegen im Brauchtum von Handwerk und Fastnacht, so wie man das parallel in vielen anderen Städten und Regionen in ganz Mitteleuropa findet.

2. Der Schembartlauf benutzt die „karnevalesken Elemente“, wie man sie überall auf der Welt kennt: die Ordnung auf den Kopf stellen, wild verkleiden, Feuerröhrlein, zotige Lieder, Spottverse, Besäufnis, Tanz, der eigentlich gar keiner war, die „Wilden Männer“, die begleitenden Narren. Alles Elemente aus dem europaweiten Schau-Brauchtum, wie sie von den Akteuren und den Zuschauern erwartet und verstanden wurden. Diese Elemente waren auch nötig, denn sie haben in der damaligen Gesellschaft besonders gut „funktioniert“. Aber sie waren letztlich nur Mittel zum Zweck.

3. Die Organisationsform dagegen ist ein Kunstprodukt mit der relativ kurzen Laufzeit von 90 Jahren. Sie wurde aus dem rechtlichen und sozialen Gefüge der Stadt vielmehr aus Kalkül, als aus Gewohnheit, zusammengebaut. Für einen  bestimmten Zweck und für eine bestimmte Zeit.

Passend dazu fasst Hans-Ulrich Roller sehr treffend zusammen: „Die im Schembart Lauf typische Mischung traditioneller und modischer Motive, das Schwanken zwischen festlicher Repräsentation und ausgelassener Spielfreude, das Hin und Her volkstümlich derben Treibens und weltstädtischer Eleganz geben dem Nürnberger Schembartlauf eine eigene, besondere Stellung im Fest- und Maskenwesen seiner Zeit.“

    

Literatur
8 Hans-Ulrich Roller: Der Nürnberger Schembartlauf. Studien zum Fest- und Maskenwesen des
späten Mittelalters. Tübinger Vereinigung für Volkskunde, Tübingen 1965

Impressum

Schembart-Gesellschaft Nürnberg e. V.

Tel: 0911-40 88 298
info@schembart.de

Registergericht: Amtsgericht Nürnberg
Registernummer: VR1682
Verantwortlicher i.S.d. § 55 Abs. 2 RStV:
Horst Kaufmann – hk@schembart.de

1. Vorsitzende, Tanzleitung
Agnes Graf-Then
Heuweg 25 – 91560 Heilsbronn
Tel 09872 – 97 60 937
agnes@schembart.de
2. Vorsitzender, Musik
Horst Kaufmann
Juttastraße 14 – 90480 Nürnberg
Tel 0911 – 40 88 298
hk@schembart.de

Diese Website erfasst keine
personenbezogenen Daten.
Für Inhalte von externen Webseiten ist
ausschließlich der jeweilige Anbieter
verantwortlich.
Die Inhalte und Werke auf dieser
Website unterliegen dem deutschen
Urheberrecht.